Lebendspende
... und wir würden es nochmal machen
Ich habe einige Abkürzungen verwendet, die ich gerne vorher erklären möchte:
TX = Transplantation
CAPD = Dialyseverfahren, bei dem das Blut über das Bauchfell gefiltert wird
HD = Hämodialyse
Dia = Dialyse
DO = „Dialyse Online“, ein Dialyseforum im Internet
Seit über 30 Jahren ist meine Nierenerkrankung bekannt, mit meiner Frau
lebe ich seit fast 30 Jahren zusammen und wir haben 3 Kinder. Das zum
Anfang.
In einer langen Prädialysezeit war das Thema TX tabu, da es immer hieß,
erst kommt die Dialyse. Dann, Ende 2001, es ließ sich nicht länger
hinauszögern, CAPD. Dann die Frage von den Docs , wie sieht es aus mit
TX, Lebend- oder Leichenspende ?
Dieses Thema wurde für den Moment erst mal verdrängt, ach du meine
Güte. Dann war klar, Warteliste mache ich. Eine meiner Schwester hat
sich als Lebendspenderin so halt mal angeboten. Ganz spontan hab ich
abgelehnt, erstens hat sie selbst genug Probleme und zweitens wollte
ich dieses „Opfer“ nicht.
Ca. 2 Monate nach Diabeginn erklärt meine Frau, dass sie zur Spende
bereit wäre. Spontan habe ich abgelehnt, und viele gute Gründe dafür
gefunden. Der Beruf, die Existenzsicherung für die Familie, die Kinder,
und so schlecht geht`s mir doch gar nicht und überhaupt, ich will keine
Opfer für mich annehmen. Was passiert, wenn`s schief geht, bei ihr, bei
mir, bei uns beiden?
Wir haben öfter abends darüber geredet, bis sie erklärte, dass dies mit
Opfer und so alles Quatsch sei, sie habe auch sehr egoistische Gründe,
sie möchte mit mir gemeinsam alt werden und zwar so, dass wir beide
viel vom gemeinsamen Leben haben. Das war der Durchbruch.
Dann, Vorstellung im TX – Zentrum, viele Untersuchungen, elendige
Wartereien, die zogen sich über 4 Monate hin. Schließlich Arztgespräch:
Die Übereinstimmung ist sehr gut gegeben (fast wie ein 6er im Lotto),
aber eine Niere bei meiner Frau hat einen 2. Ausgang und deshalb zu
hohes OP – Risiko. Unsere Reaktion: Enttäuschung, Frust, aber auch
irgendwie Erleichterung.
Die Dia zog sich hin, Wechsel zu HD, neues Diazentrum, damit auch
Wechsel des TX – Zentrums. Anfrage vom (neuen) TX – Zentrum, ob
Lebendspende noch in Frage käme. Huch, Erstaunen, aber ja doch, aber
die anderen und so weiter..... Dann musste ich sämtliche Berichte aus
dem alten TX – Zentrum besorgen (die Bürokratie ist der schlimmste
Feind jeder Veränderung) und wir sind gemeinsam zur Vorstellung ins
neue TX – Zentrum gefahren.
Lange Gespräche, warum aus ihrer Sicht die Unterlagen nicht
aussagekräftig genug sind, wie sie vorgehen. Fazit: Sie haben andere
genauere diagnostische Möglichkeiten, um die Nieren meiner Frau zu
untersuchen und sie bitten um eine zweitägige stationäre Aufnahme.
Meine Frau hat zugestimmt und 3 Wochen nach stat. Aufenthalt der
Befund, es spricht nichts gegen eine TX, der 2. Ausgang ist da, aber
„operationstechnisch“ kein Problem.
Jetzt mussten wir uns entscheiden, wollen wir tatsächlich, bald,
sofort, später, gar nicht? Oder sollen wir noch andere „Experten“
befragen? Sich selbst noch schlauer machen als wir ohnehin schon sind
(war zumindest unsere Einbildung)? Was sagen unsere Kinder dazu, die
zwar den Prozess mitbekommen haben, aber noch keine Entscheidung. Wie
binden wir sie in die ganze Prozedur ein? Wie binden wir unsere Eltern
(alle leben noch und sind zwischen 78 und 85) ein? wie gehen wir mit
uns um bei der Entscheidung, übt einer auf den anderen Druck aus?
Es waren viele Gespräche, ich habe noch viele Infos aus dem Internet
bekommen und wir haben uns entschieden, die Vorbereitung zur TX
durchzuziehen bis zur Kommission und dann entscheiden wir abschließend.
Unsere Kinder fanden dies ganz spannend und gut, zumindest nach außen
hin, unsere Eltern haben wir nur vage informiert.
Die Gespräche liefen im TX – Zentrum gut, es gibt pro Woche mindestens
eine Lebendspenden – OP, das ist ja alles nicht so schwierig und die
Spenderin ist nach ca. 10 Tagen wieder zuhause, für den Empfänger ist
es etwas schwieriger sowohl von der OP als auch von der Rekonvaleszenz,
aber da wird er ja gut betreut. Das hörte sich sehr gut an und wir
hatten Vertrauen.
Dann entschieden wir uns für die OP und vereinbarten einen Termin ca. 2
Monate später. Ging beruflich nicht anders. Ich konnte mich in dieser
Zeit voll auf die TX einstellen, hab mein ganzes Leben darauf
abgestellt und viel Vorfreude und Erwartungen erzeugt. Meine Frau war
so im beruflichen Alltag, dass sie nicht viele Gedanken aufbrachte, wir
sprachen zwar über das Thema, aber es stand nicht im Vordergrund.
Der Termin rückte näher, und uns wurde es mulmiger. Die Kinder waren
höchst aufmerksam, eine Anspannung machte sich breit. Die Gespräche mit
den Eltern haben uns sehr belastet, weil hier nur teilweise Verständnis
vorhanden war, aber wir waren froh, es ihnen vor der OP gesagt zu
haben. Der vorletzte Abend gehörte der Familie, wir gingen gemeinsam
essen, es waren doch sehr gemischte Gefühle und eine Anspannung bei
allen war da. Sonntagabend Abschied nehmen von den Kindern, da flossen
die Tränen, montags früh um 6.00 Uhr auf die Autobahn, da ging`s uns
beiden nicht gut, es war eine sehr beklemmende Fahrt und jeder hing
seinen Gedanken nach. Das war mit einer der schwierigsten Momente.
(Jetzt ein kleiner Einschub: Wir haben einen sehr großen Bekanntenkreis
und das Thema TX ließ sich nicht verheimlichen. Wir mussten uns vielen
Leuten erwehren, dass sie uns nicht besuchen, dass sie uns nicht die
Wohnung putzen, wir mussten viele trösten, die meinten, sie sehen uns
nie wieder und ach was weiß ich noch für schreckliche Geschichten. Es
ist schön, wenn andere an einen denken und mit einem fühlen, aber das
Mitgefühl floss bei einigen doch sehr über den Tellerrand. Andere haben
für uns gebetet, Kerzen in die Kirche gestellt, Telefonketten
organisiert..., Gott sei Dank haben wir vieles erst später und manches
auch gar nicht erfahren.)
Ankunft im TX – Zentrum, freundliche Aufnahme, die ganze
Aufnahmeprozedur zog sich hin, wir wurden ruhiger und gelassen, letzte
Dia bei mir. Vorfreude kam auf bei mir, meine Frau war sehr gelassen.
Eine Patientin kannte ich von einer Gastdialyse, sie war dann mit auf
dem Zimmer bei meiner Frau und war eine gute Ansprechpartnerin. Die
Nacht vor der OP haben wir beide gut geschlafen, kurz vor dem Duschen
haben wir uns das letzte Mal vor der OP gesehen. Beide hatten wir ein
gutes Gefühl, Abschied o.ä. kam nicht auf, wir waren sehr
zuversichtlich.
Vor der OP Tablette bekommen, die hat mich gleich so umgehauen, dass
ich erst nach der OP wieder aufgewacht bin, und dann, was für ein
Gefühl, ich hatte plötzlich einen klaren Kopf, so klar, als ob die
Sonne direkt in das Gehirn scheint. Dann erst habe ich realisiert, was
mit mir ist, mit allen Schläuchen und Apparaten usw., aber da war keine
Beunruhigung, im Gegenteil, mir ging es saugut. Die Schwestern haben
gleich von meiner Frau berichtet, auch bei ihr alles bestens. Ich hätte
sie gerne gesehen, das ging noch nicht, also haben wir miteinander
Zimmer an Zimmer telefoniert.
Die Niere lief bereits super, in den ersten 24 Stunden hat sie 13 Liter
ausgeschieden (über Katheder), die Werte sind rapide gefallen,
Kreatinin 1,4. Harnstoff 63. Gegen die Schmerzen gab es gleich
Infusionen. Mein Zimmergenosse hat auch gewechselt, den kannte ich vom
Chat aus DO, war ein lustiges Kennenlernen.
Von nun an lief es nicht mehr parallel: Bei mir einfach nur gut, ein
Tag nach OP aufgestanden und etwas herumgelaufen, nach 5 Tagen alle
Schläuche weg, nach 14 Tagen der vielberühmte Splint raus und schon
wurde ich entlassen. Inzwischen bin ich noch am Gewöhnen der
Medikamente und der Blutdruckeinstellung, aber was ist das schon im
Vergleich zu dem, was ich erhalten habe, an die Dia denke ich überhaupt
nicht mehr, das ist, als ob sie nie stattgefunden hätte (so schnell
kann es gehen). Ängste und Befürchtungen kommen immer mal wieder auf,
bleibt es so gut, wie entwickeln sich die Werte..., aber meine Euphorie
und meine Lebensfreude stehen nach wie vor im Vordergrund.
Meine Frau hatte nach der OP Probleme mit den Medis und dann mit dem
Kreislauf, die OP – Wunde schmerzte und der Darm drückte sich in den
freien Platz und damit gab es doch heftige Schmerzen. Die Betreuung in
der ersten Woche war gut, die Werte hatten sich schnell normalisiert,
aber ihr Zustand war doch einfach nicht so besonders. Dann Wechsel in
eine „Normalstation“, dort war kaum noch eine Betreuung, so dass sie
nach insgesamt 8 Tagen Aufenthalt nach Hause ging.
Körperlich noch deutlich geschwächt, mit schmerzhafter OP – Narbe und
vom Kreislauf her, dazu kam dann Riesenärger mit Krankenkasse -> wer
bezahlt die Nachsorge (sic !), kann überhaupt ein Rezept ausgestellt
werden, müsste sie nicht in das 180 km entfernte TX – Zentrum fahren
usw usw mit dem ganzen Schwachsinn. Hat 2 ½ Wochen bis zur Klärung
gedauert, Ärger, Stress, Kopf schütteln.
Es ging sehr langsam aufwärts, jetzt, 7 Wochen nach OP, können wir
sagen, sie ist wieder in „Normalform“. Natürlich schaute sie manchmal
neidisch auf mich, wie es mir einfach so gut ging und sie in den Seilen
hing, dann haben wir beide über die vertauschten Rollen gelacht. Große
Unterstützung bekamen wir von unseren Kindern und Nachbarschaft, was
uns sehr bei vielen Kleinigkeiten geholfen hat.
Resümee nach 7 Wochen:
Wir sind froh, dass wir die TX gemacht haben.
Wir hätten uns gewünscht, dass wir im Vorfeld besser über die
Auswirkungen auf den Spender aufgeklärt worden wären, hätte uns
sicherlich manches erleichtert.
Wir sind enttäuscht, dass wir den Eindruck bekommen mussten, das Spender Patienten 2. Klasse sind.
Wir sind stinksauer auf Bürokratie und Formalismus.
Wir sind vielen Schwestern, Ärzten und uns nahestehenden Personen dankbar für Unterstützung, Hilfestellungen und Verständnis.
wir können es uns kaum noch vorstellen, wie es während der Diazeit war und freuen uns über jeden neuen Tag.
Wir sind auch dankbar einfach für das Glück, das dieses Mal auf unserer Seite stand.